Jürgen Zipf hat ein Experiment gewagt – und gewonnen.

Wahrscheinlich gibt es unter Winzern und Weinfreunden nicht ganz so viele schlaue Standardsätze wie bei den Fußballern („Der Ball ist rund“, „Das Spiel dauert 90 Minuten“, „Egal, ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“), ein paar sind es aber doch. Einer davon lautet: „Die Qualität des Weines entsteht im Weinberg.“ Wer wollte dieser Weisheit widersprechen? Allerdings stimmt auch, dass die Art, wie die Trauben im Keller verarbeitet werden, den Charakter des Weins maßgeblich bestimmt. Ein Wein, der im Stahltank gelagert wurde, schmeckt anders als einer, der im Holzfass war. Die Frage, wie die Maische vergoren wurde, ist ebenso entscheidend wie die Reifezeit, die man dem Wein spendiert. Viele Experimente dürfen die Genießerinnen und Genießer bisweilen bewundern; nicht alle sind so, dass man einen zweiten Schluck probieren möchte. Ein tolles Stück aus dem kreativen Versuchslabor ist Jürgen Zipf mit seinem 2022er Grauburgunder Vom roten Mergel gelungen. Am frühen Morgen wurden die kerngesunden Trauben gelesen, danach wurde ein Teil auf der Maische vergoren – ein eigentlich nur bei roten Rebsorten gewähltes Verfahren, das bei den Weißen fast ausschließlich für die Produktion von sogenannten Orange- Weinen angewandt wird. Reifen durfte der Wein in zwei sehr ungewöhnlichen Gebinden: Die eine Hälfte war in einem Beton-Ei, die andere Hälfte in Akazienholzfässern, die der Winzer aus Löwenstein auf einer Fachmesse entdeckt hatte. Die Vereinigung fand erst nach dem Abstich im Dezember 2023 statt – und das Ergebnis ist ein absolut spannender Wein für Fortgeschrittene. Da ist einerseits die herbe Note des Orange-Weins, dazu die schlanke Mineralität des Beton-Eis und all das gepaart mit fast schon verspielten Aromen von Steinobst. Man schmeckt das Akazienholz und würzigen Pfeffer – und hat dank eines fantastischen Abgangs noch lange etwas davon. Insgesamt ist dieser Wein ganz sicher keiner für alle und alle Gelegenheiten, dafür aber einer, über den man – in großen Gläsern genossen – in weinkundiger Runde trefflich diskutieren kann.